Selbst unbewusst nutzt unser Gehirn ständig visuelle Informationen, um das Gleichgewicht und Bewegungen zu steuern. So, wie das Gehirn anspruchsvolle Algorithmen auf visuelle Darstellungen anwenden kann und ein unglaublich weitreichendes Verständnis der Umgebung erlaubt, beginnen Embedded-Systeme damit, die visuelle Wahrnehmung als eines der wichtigsten Instrumente zur Erfassung von Daten und zur Entscheidungsfindung zu nutzen. Universitäten forschen bereits seit den 1960ern daran, maschinelles Sehen verwirklichen zu können. Das Zusammentreffen etlicher technischer Voraussetzungen beschleunigt derzeit einen Umbruch in der Embedded-Bildverarbeitung. Hierbei tragen Bilderfassungssensoren, Prozessortechnolo-gien sowie Softwarealgorithmen allesamt zu einer neuen Generation von Embedded-Systemen bei.
COTS-Technologien für die Embedded-Bildverarbeitung
Wie bei vielen Commercial-off-the-Shelf-Technologien (COTS) hat auch Unterhaltungselektronik, die in Grossserien gefertigt wird, die Grenzen des Möglichen innerhalb der durch Leistung, Grösse und Kosten gegebenen Einschränkungen immer mehr ausgeschöpft. Winzige Kameras sind bei Laptops, Tablets und Mobiltelefonen inzwischen Standard. Millionen von Pixeln drängen sich hier auf wenige Quadratmillimeter. Die aktuelle Grösse und die Leistungsfähigkeit heutiger Bildsensoren sind zwar beeindruckend, der grösste technologische Fortschritt im Bereich Embedded-Bildverarbeitung ist letztlich allerdings die Leistung der Prozessoren.
Dank der Leistungsverdoppelung bei Prozessoren alle zwei Jahre und der konsequenten Ausrichtung auf parallele Verarbeitungstechnologien wie Multicore-CPUs, Grafikprozessoren und FPGAs können Entwickler von Embedded-Systemen jetzt anspruchsvolle Algorithmen auf visuelle Daten anwenden und intelligentere Systeme erstellen. Statt sich nur auf mechanische Messungen wie Temperatur, Schwingungen und Schall zu verlassen, haben Embedded-Systeme jetzt auch Zugriff auf visuelle Informationen und verfügen über ausreichend Leistung, um sofort zu reagieren.
Die massenhafte Integration von Kameras in Computer, Mobiltelefone und Kraftfahrzeuge ist weithin bekannt. IMS Research schätzt das jährliche Wachstum des Embedded-Bildverarbeitungsmarkts über fünf Jahre hinweg auf 86 Prozent, was bedeutet, dass bis 2016 fast 700 Mio. Einheiten erreicht werden. Ein gutes Beispiel für dieses immense Wachstum ist der Microsoft-Kinect-Sensor, der zum Gerät mit der bislang grössten Verbreitung in der Unterhaltungselektronik wurde. Samsung stellte kürzlich sein Smart- TV vor, das über integrierte Funktionen zur Gesichts- und Gestenerkennung verfügt. Es wird nicht mehr lang dauern, ehe Kameras zu den Standardfunktionen in Kühlschränken, Mikrowellen, Waschmaschinen und anderen täglich genutzten Haushaltsgeräten zählen werden. Diese Ausbreitung der Embedded-Bildverarbeitung wird sich in allen Arten von Steuer-, Regel- und Überwachungssystemen aus Branchen wie der Fertigung, den Life Sciences und dem Transportwesen fortsetzen.
Industrielle Automatisierung
Die industrielle Bildverarbeitung wird bereits seit Langem in industriellen Automatisierungssystemen eingesetzt, um die Produktionsqualität zu verbessern und den Durchsatz zu beschleunigen, indem man die manuelle Prüfung durch den Menschen ersetzt. Neu ist die Integration von Bildgebungstechnologien und Bewegungssystemen, um Produktionsmaschinen mit höherer Leistung zu erstellen. Bilddaten lassen sich jetzt schnell genug verarbeiten, um Bewegungsprofile zu berechnen. Ausserdem prüfen Maschinenbauer derzeit das «Visual Servoing» als möglichen Ansatz zur Steigerung der Leistung ihrer Automatisierungsanlagen. Bei der Verarbeitung von Halbleiterwafern beispielsweise sind kleinere Verdrehungen oder seitliche Verschiebungen, die auftreten, wenn neu geschnittene Chips den Fertigungsprozess durchlaufen, ein häufiges Qualitätsproblem.
Die neuen Maschinengenerationen zur Waferverarbeitung verfügen über Embedded-Bildverarbeitung, um die Intelligenz ihrer Bewegungssysteme zu erhöhen. So lassen sich deutliche Produktionserträge erzielen. Mittels Bilddaten können diese Maschinen die genaue Ausrichtung eines Chips präzise bestimmen und Abweichungen ausgleichen. Anhand desselben Bilds können sie nach Fehlern suchen und Teile weit vor Ende der Fertigung aussortieren.
Life Sciences
Für Anwendungen im Bereich Life Sciences ist die medizinische Bildgebung ein Gebiet, auf dem enormer Forschungsaufwand betrieben wird. Sie wird aber nicht das Erste sein, an das man bei kleinen Embedded-Systemen mit niedrigem Stromverbrauch denkt. Seit mehr als einem Jahrhundert werden unterschiedliche Technologien eingesetzt, um nichtinvasive Verfahren für die medizinische Diagnose und Behandlung zu entwickeln. Ob Röntgenstrahlen, elektromagnetische Felder oder Ultraschall – zur medizinischen Bildgebung gehört in der Regel ein Stimulus-Antwort-Prozess.Dieser erfordert Hochleistungssysteme für die Signalerzeugung und -verarbeitung. Da neuere Bildsensoren mit höheren Auflösungen und Bildraten existieren, entwickelt sich in der medizinischen Bildgebung die passive Bildgebung inzwischen zu einer brauchbaren Alternative und erlaubt kleinere, günstigere Geräte, die in Grossserien eingesetzt werden können.
Transportwesen
Zu den ersten Erfahrungen der Automobil-industrie mit der Embedded-Bildverarbeitung gehören Fahrerassistenzfunktionen wie Rückfahrkameras. Ähnlich wie bei der Unterhaltungselektronik wird sich die Grossserienfertigung von Anwendungen in der Automobilbranche letztlich auf alle Arten von Anwendungen für das Transportwesen auswirken. In der Bahnbranche beispielsweise muss der Zustand der Schienen laufend beobachtet werden. Schon eine leichte Positionsverschiebung kann zu erheblichen Ausfällen und Sicherheitsmängeln führen. Zugbetreiber mussten bislang Schienenkanten manuell untersuchen.
New Vision Technologies in Frankreich entwickelte ein Embedded-Bildverarbeitungssystem namens RAILSHIFT, das kontinuierlich über 30 m Schiene überwachen und Positionsverschiebungen auf bis zu 5 mm messen kann. Das Unternehmen hat über ein Dutzend Systeme entlang der Schienen des Pariser Regionalexpress installiert, der über drei Milliarden Fahrgäste jedes Jahr transportiert. Über das System werden sofort Warnmeldungen an die Bahnbetreiber geschickt, wenn Fehler festgestellt werden.
Ein weiteres Beispiel für die Embedded-Bildverarbeitung in der Bahnbranche ist die Entwicklung eines Systems zur Transientenaufzeichnung, das die Siemens-Division Rail Systems in Colorado (USA) für das Stadtbahnsystem in Denver erstellte. Seit Jahren versuchten Siemens-Ingenieure, die Lichtbogenereignisse zu erfassen und besser zu beschreiben, die auftreten können, wenn eine plötzliche Spannungsspitze entlang der Stromleitungen auftritt. Durch Erweitern des Embedded-Protokollierungssystem um Bilddaten, das Siemens unter Verwendung der Hardware NI CompactRIO implementierte, erhielt der Kunde die benötigten Informationen.
Überall Kameras
Technologien für die Embedded-Bildverarbeitung in Elektronikanwendungen in der Grossserienfertigung sind mehr und mehr in allen Arten von Embedded-Systemen zu finden. Sensoren und Verarbeitungstechnologien bieten zunehmende Leistungsfähigkeit und überwinden Hürden bei Grösse, Stromverbrauch und Kosten. Eine Verbreitung der Bildgebungstechnologien in Branchen wie der industriellen Automatisierung, der Medizintechnik und dem Transportwesen ist bereits jetzt zu sehen, und dies ist erst der Anfang. In Zukunft darf man mit neuen, ungewöhnlichen Märkten und Anwendungen rechnen, die niemand für möglich gehalten hätte.
Technologieausblick 2013 – Embedded Systeme: 14_14.53.pdf
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