Als Leitanwender sammelt Bosch in mehr als 50 Pilotprojekten praktische Erfahrungen mit Industrie 4.0. In diesem Pool von «Versuchslaboratorien» loten die Techniker neue Ansätze aus. Dabei suchen sie nicht die eine revolutionäre Lösung, die alles gleichzeitig verändert. Vielmehr setzen die Ingenieure auf schnell umsetzbare, evolutionäre Schritte. An diesen Projekten arbeitet Bosch Rexroth als Automationspartner intensiv mit.
Der enge Austausch mit den internen Anwendern zeigt, welche Entwicklungen notwendig sind und wo die Evolution beschleunigt werden muss. Die wichtigste Erkenntnis dabei ist, dass es offene Standards und offene Integrationsplattformen braucht. Die Techniker sind überzeugt: Industrie 4.0 läutet das Ende von proprietären Konzepten ein.
Automatisierungskomponenten müssen kommunizieren
Betrachtet man das Zukunftsbild einer Produktion in der Vision Industrie 4.0, wird klar, dass dezentral intelligente Komponenten, Module, Menschen und Maschinen eine Vielzahl von Informationen austauschen – untereinander, mit der eigenen Unternehmens-IT und wahrscheinlich auch mit anderen IT-Systemen. Menschen bleiben dabei die oberste Entscheidungsinstanz. Dafür benötigen sie die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Je grösser die Software-Intelligenz von Maschinen wird, desto mehr Informationen tauschen intelligente Komponenten und Anlagenmodule aus – sowohl innerhalb einer Maschine als auch ausserhalb mit IT-basierten Anwendungen. Damit ist es von zentraler Bedeutung, dass diese Informationen überall in der Produktion verstanden werden. Dies hat zur Folge, dass Automatisierungskomponenten multilingual sein müssen – sowohl in Hinsicht auf die Kommunikation als auch auf die Programmierung. Die heute eingesetzten SPS-Programmiersprachen sind für die Entwicklung von Maschinen und Anlagen in der Vision Industrie 4.0 nicht länger ausreichend.
Steuerungen und Antriebe müssen sich heute homogen in eine heterogene Automatisierungslandschaft mit einer Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen integrieren lassen. Eine zentrale Anforderung ist dabei die Standardisierung der Kommunikation – die Techniker sprechen von Connectivity.
Offene Kommunikationsstandards bilden die Voraussetzung
Connectivity ist die Fähigkeit, Informationen auszutauschen – und zwar auf eine Art und Weise, die alle beteiligten Komponenten verstehen. Das hört sich einfach an, ist in der Praxis aber eine gewaltige Herausforderung. Denn in einer typischen Fabrik sind Maschinen verschiedener Hersteller mit unterschiedlichen Steuerungen vernetzt. Will ein Anlagenbetreiber beispielsweise fabrikweit Condition-Monitoring einführen oder die Energieeffizienz steigern, dann kann das zu einer komplexen Herausforderung werden. Im ungünstigsten Fall muss er jedes einzelne Maschinenprogramm für den entsprechenden Informationsaustausch anpassen.
Hier setzt Bosch Rexroth an und bietet eine Connectivity auf Basis offener Automatisierungsstandards. Alle Steuerungen und Antriebe verfügen über Multi-Ethernet-basierte Schnittstellen und sind damit multilingual. Ein Maschinenhersteller erhält damit den höchstmöglichen Freiheitsgrad, um seine Lösungen in der von ihm bevorzugten Kommunikationssprache in unterschiedliche Automatisierungsumgebungen zu integrieren. Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen.
Maschinen sprechen eine gemeinsame Sprache
Die Automatisierungsbranche hat sich auf OPC UA (Unified-Architecture) als gemeinsamen Ethernet-basierenden Standard für die Kommunikation von Maschine zu Maschine verständigt. Dieser ermöglicht die standardi- sierte und abgesicherte Kommunikation zwischen Maschinen für eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen auf Produktionsebene. Externe Anwendungen können beispielsweise über das in den Steuerungen hinterlegte OPC UA-Informationsmodell auf sämtliche Datenobjekte und Funktionen zugreifen. Das hat den Vorteil, dass sich serviceorientierte Lösungen und die automatisierte Datenaufbereitung für beispielsweise Condition-Monitoring oder Energiemanagement viel einfacher implementieren lassen als bislang.
Der Dolmetscher zwischen SPS- und IT-Welt
Neben OPC UA sind Webtechnologien ein weiterer Schlüssel zur standardisierten Informationsbereitstellung in der Industrie 4.0. Die Möglichkeiten von Smart Devices, bekannt aus dem Consumer-Markt, stossen insbesondere im Produktionsumfeld bei Maschinen- und Anlagenbauern auf hohes Interesse. Mit dem Angebot an Software-basierenden Lösungen im Rahmen von Open Core Engineering ermöglicht Bosch Rexroth den Kunden, sogenannte native Apps mit hoher Performance und integrierten Steuerungsfunktionen für Google Android und Apple iOS selbstständig zu entwickeln.
Im Gegensatz dazu sind webbasierte Apps oder HMI-Lösungen auf Basis der Beschreibungssprache HTML5 plattformunabhängig. Sie benötigen nur einen Browser, da die Webseiten auf einem Webserver auf Seiten der Steuerung hinterlegt sind. Im Vergleich zu nativen Apps haben sie jedoch zwei Nachteile: eine schlechtere Performance und eine aufwendigere Anbindung an Automatisierungskomponenten.
Steuerungstechnik verlangt schnelle Hardware
Mit dem WebConnector bietet das Unternehmen einen neu entwickelten Universal-Dolmetscher für die Automatisierung. Er übersetzt webbasierte Kommunikationsprotokolle in die Sprachen der Maschinen und umgekehrt. Für die Kommunikation mit webbasierten Anwendungen nutzt er beispielsweise das mit HTML5 eingeführte WebSockets-Protokoll und für die Kommunikation mit der Steuerung das OPC UA-Protokoll. Damit stellt der WebConnector den umfassenden Austausch von Informationen in der Produktion sicher, wie zwischen Maschinensteuerungen und Smart Devices.
Aber auch die Hardware muss mit der Evolution der Steuerungstechnik Schritt halten. Die Steuerungsfamilie IndraControl XM kombiniert neue Prozessortechnologien mit der schnellen Verarbeitung von Prozesssignalen über ein hoch performantes E/A-System. Das Laufzeitsystem wurde für eine multilinguale Programmierung ausgebaut. Neben der Verarbeitung von Programmen mit aktueller SPS-Technologie können Anwender die Steuerung auch in den Sprachen C/C++, Lua und Java programmieren.
Keine Schranken für Programmierer
C/C++ und Java sind die am weitesten verbreiteten Hochsprachen und ermöglichen die offene Implementierung IT-basierenden Anwendungen. Doch warum Lua? Damit Programme geschrieben werden können, die von anderen Anwendern einfach erweitert oder verändert werden können, und die auf verschiedenen Plattformen lauffähig sind und keine komplexen Entwicklungsumgebungen benötigen. Dazu braucht es eine Sprache, die den Programmierer funktional nicht einschränkt. Genau diese Überlegungen führen zu Lua, die plattformunabhängig, erweiterbar und darüber hinaus extrem leichtgewichtig ist. Lua ist zudem schnell und mächtig im Sprachumfang, benötigt aber wenig Speicherplatz. Auf dieser Basis öffnen sich ganz neue Möglichkeiten für die Weiterentwicklung von Maschinen und Anlagen in der Vision von Industrie 4.0.
Dezentralisierung ist das Stichwort der Zukunft
Doch Industrie 4.0 findet nicht nur auf der IT- und Steuerungsebene statt. Am Ende müssen Maschinen Bewegungen ausführen. Elektri-sche Antriebe sind im wahrsten Sinne die treibende Kraft der modernen Automatisierung. Die Intelligenz der Antriebe ist dabei ein Schlüsselelement. In der Industrie 4.0 müssen sich Antriebe nahtlos und einfach in die unterschiedlichsten Automatisierungsumgebungen einfügen. Wichtige Aspekte sind hierbei Leistung, Funktion und eine einfache und schnelle Inbetriebnahme. Das aktuelle Portfolio der Antriebsfamilie IndraDrive deckt ein Leistungsspektrum von 100 W bis zu 4 MW ab. Das Besondere daran: Über das gesamte Leistungsspektrum hinweg stehen dem Anwender die gleichen vielfältigen Funktionen zur Verfügung. Damit diese Funktionen auch effizient und schnell zum Einsatz kommen können, werden alle Antriebe mit dem gleichen Engineering Tool in Betrieb genommen. Hat ein Anwender einmal mit IndraDrive gearbeitet, kann er aus dem umfangreichen Portfolio die beste Lösung für seine Anwendung auswählen – ohne eine neue Lernkurve durchlaufen zu müssen.
Bosch Rexroth setzt seit über zwei Jahrzehnten auf dezentrale Intelligenz. Über die Basisfunktionen hinaus sind in der Antriebssoftware eine Vielzahl anspruchsvoller Technologiefunktionen bereits integriert. Dazu zählt beispielsweise das Erkennen von Verschleiss an mechatronischen Systemen ohne zusätzliche Sensoren.
Nahtlos integrieren bedeutet aber nicht mehr nur die passende Leistung und Funktion zu bieten, sondern auch offene Standards in der Kommunikation und in der Programmierung zu unterstützen. Das gewährleistet Bosch Rexroth mit der bereits erwähnten Multi-Ethernet-Schnittstelle. Damit lassen sich die Antriebe mit allen relevanten Ethernet-basierenden Feldbussen nutzen.
Maschinendaten mit Excel auswerten
Die Schnittstellentechnologie Open Core Interface steht auch auf der Antriebsebene zur Verfügung. Diese erlaubt den direkten Zugriff auf alle Antriebsparameter über Hochsprachen-basierte Anwendungen und erhöht so den Freiheitsgrad für Maschinenhersteller. Was bedeutet das in der Praxis? Ein Anwender möchte beispielsweise den Energieverbrauch eines Achsantriebs direkt abrufen und auswerten. Ohne die neue Schnittstellentechnologie muss er dazu eigens SPS-Programme anpassen und die Daten über die Steuerung rangieren. Mit Open Core Interface for Drives reicht es, Makros der gängigen Tabellenkalkulationsprogramme zu schreiben, um per Ethernet direkt auf die Daten im Antrieb zuzugreifen. Und das kann jeder tun, der über etwas Erfahrung mit Visual Basic verfügt.
Rentable Produktion bei Losgrösse Eins
Um eine hochproduktive Fertigung mit kleinen Losgrössen zu realisieren, ist die Reduzierung von Rüstzeiten bei Format- oder Produktwechseln eine der grossen Herausforderungen. Die Lösung dafür liegt im modularen Maschinenbau mit rekonfigurierbaren, agilen Produktionsmodulen. Bei der elek-trischen Installation zeigen konventionelle Konzepte mit zentraler Schaltschrankelektrik aber schnell Grenzen auf.
Mit der dezentralen Antriebstechnik IndraDrive Mi wird der Servoantrieb mit dem Motor für den dezentralen Einbau zu einer Baugruppe zusammengefasst. So lassen sich elektrische Achsantriebe direkt in die Maschine integrieren und der zentrale Schaltschrank schrumpft massiv.
Der nächste Evolutionsschritt verlagert den kompletten Antriebsstrang in die Maschine. Das gesamte Antriebssystem – einschliesslich der notwendigen Netzversorgung – kann direkt in die Maschine integriert werden, da alle notwendigen Komponenten in Schutzart IP 65 ausgeführt sind. Das neue Versorgungsmodul ist dabei zusätzlich in der Lage, elektrische Energie in das Netz zurückzuspeisen und trägt so zu einer optimalen Energiebilanz der Anlage bei.
Moderne Maschinen kommen ohne Schaltschrank aus
Mit einem solchen Versorgungsmodul verbindet der Maschinenhersteller bis zu 30 Antriebe. Für E/A-Signale ist keine separate Installation notwendig, vielmehr können an die dezentralen Antriebsmodule lokale E/A-Module angeschlossen werden. So werden alle Signale über eine Leitung übertragen. Alle derzeit im Schaltschrank befindlichen Versorgungskomponenten entfallen damit, was den Schaltschrank überflüssig macht. Die ersten Maschinenhersteller setzen dieses System für schaltschrank-lose Maschinen ein. Und auch die Maschinenbetreiber profitieren, denn bei ihnen zählt derzeit vor allem der geringere Platzbedarf der schaltschranklosen Maschinen.
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