Die grössten Sparpotenziale in der Elektronikfertigung liegen in der Optimierung der Prozessketten. Das erfordert neue und flexible Produktionskonzepte. Als primäre Kostentreiber gelten zwar auch in dieser Branche Materialkosten, Maschinen und Personal. Da hier aber alle vergleichbaren Produzenten in vergleichbaren Situationen sind, lassen sich an diesen Stellen kaum Wettbewerbsvorteile generieren. Auch der Einfluss, den Abschreibungen und Investitionen im Maschinen- und Infrastrukturbereich auf die Produktionskosten haben, ist überraschend gering.
Wo also den Optimierungshebel ansetzen? Bei den Fertigungsprozessen. Gerade da kämpfen viele Elektronikhersteller mit unstrukturierten Projekten, unkalkulierbarem Aufwand und langen Durchlaufzeiten in der Fertigung. Vor allem die Durchlaufzeiten, die vom Eingang des Kundenauftrages bis zur vollständigen Auslieferung der Produkte in der vom Kunden gewünschten Ausstattung und Qualität vergehen, bieten sich bestens an, zuzüglich Umschlaghäufigkeit des Materials und Umlaufbestand. Idealzustand wäre, wenn Durchlaufzeit und eigentliche Bearbeitungszeit annähernd gleich sind.
«Anlass und Anreiz, Shopfloor-Management und damit eng verwoben Lean-Manufacturing einzuführen», erläutert Steve Orgis, Lean-Manager bei Turck duotec, «war die Fragestellung, was gewünscht und notwendig ist, um die Fertigungsprozessschritte störungsärmer zu gestalten. Dafür mussten wir zuerst den kompletten Herstellungsprozess betrachten.»
Durchlaufzeiten reduzieren, Prozesse störungsärmer gestalten
Im Zusammenhang mit Prozessoptimierung wird die Produktion als Shopfloor bezeichnet. Oft ist die Realität in diesem Shopfloor weit von seinem Ideal entfernt: An die 99 % und mehr der Durchlaufzeit sind Liege- und Ruhezeiten für Material, Zwischen- und Fertigprodukte. Dies ist besonders prekär in einer Industrie, in der Material und Bauteile zwischen 60 und 95 % der Herstellkosten eines Produkts ausmachen. Hier schlummern noch grosse Reserven. Um diese zu nutzen, muss jeder Produzent selbst etwas unternehmen, aber wenn er die Gelegenheit packt, kann er das Potenzial gezielt zum Steigern seiner Wettbewerbsfähigkeit und Kundenzufriedenheit nutzen.
Mehr Entscheidungskompetenz für die Mitarbeiter bei Turck
Die Turck duotec GmbH hat verschiedene Optimierungshebel betätigt. Als klassischer Dienstleister in den Bereichen Elektronikentwicklung und -fertigung nahm das Unternehmen die Optimierung seiner Herstellungsprozesse in Angriff, um mit seinem Entwicklungs-Know-how und den Fertigungstechnologien die steigenden Anforderungen seiner Industriekunden unmittelbar umzusetzen. Anfang 2015 startete man am Standort Beierfeld (in der Nähe von Dresden) mit der Implementierung schlankerer Prozesse und mit der Einführung von Shopfloor-Management sowie Lean-Manufacturing.
Das erste derzeit im Roll-out befindliche Lean-Projekt dieser Optimierungsprozesse betrifft die Fertigung der kabelgebundenen Sensoren. «Als erster Schritt in diesem Leuchtturmprojekt», erklärt Orgis, «erfolgte die Einführung von Shopfloor-Management, wo es darum ging, die Störungen im Fertigungsprozess zu minimieren.» Zielvorgaben waren die Fertigung der Sensoren im One-Piece-Flow sowie die Trennung von Wertschöpfung und Logistik. Inzwischen verbucht man bereits erste beeindruckende Erfolge. Die Verkettung von acht Einzelfertigungsschritten sowie die Integration eines Maschinenprozesses im händischen Fertigungstakt verliefen erfolgreich; die Durchlaufzeit verkürzte sich schon jetzt erheblich. Erster wichtiger Eckpfeiler dieses erfolgreichen Shopfloor-Management-Roll-out ist die Führungsexzellenz auf Werkebene. Hinzu kommt das essentielle Thema Fehlerkompetenz. Der Mitarbeiter ist dazu angeleitet und soll lernen, mit Fehlern bzw. fehlerhaften Teilen sowie Problemen aktiv und konstruktiv umzugehen und dies auch entsprechend zu kommunizieren.
Team-Besprechung am Infoboard täglich vor Arbeitsbeginn
Shopfloor-Management wird bei Turck duotec in drei Ebenen, den sogenannten Kaskaden, umgesetzt. In den Fertigungsbereichen versammeln sich in der ersten Kaskade die Abteilungsleiter (AL) und alle Mitarbeiter des jeweiligen Bereichs täglich zu Schichtbeginn an einem abteilungsspezifischen Infoboard zur sogenannten ersten Stehung (eine kurz gehaltene Besprechung im Stehen) im Shopfloor, also am Ort des Geschehens, das heisst in der Werkstatthalle und auf Fertigungsebene. Die Gruppengrössen bleiben möglichst kleiner als zwölf Teilnehmer, um echte Teambildung und Kommunikation zu ermöglichen. Vom verantwortlich moderierenden Abteilungsleiter bzw. Schichtführer geleitet, bewertet das Team in maximal fünf Minuten den Vortag und plant den aktuellen Arbeitstag. Inhalt dieser Stehung sind die immer gleichen und übergreifend standardisierten Themen:
- Aktuelles
- Arbeitssicherheit
- Qualität – First Pass Yield, Ausbeute
- Verfügbarkeit von Anlagen
- Sollvorgabe und die Arbeitsplanung für den aktuellen Tag
Vor Abschluss der ersten Kaskade fragt der Abteilungsleiter nach Problemen des Vortages. Diese werden am Infoboard visualisiert, aber noch nicht diskutiert. Mögliche Probleme (Liste nicht abschliessend):
- Nichtverfügbarkeit von Fertigungsmitteln
- Schlechte Qualität von Zulieferteilen
- Fehlteile im Fertigungsprozess
- Personalengpässe
- Fehlerhafte Betriebsmittel
Diese Problemstellung vertieft der Abteilungsleiter im Nachgang durch ein Go-and-See am jeweiligen Arbeitsplatz. Für dieses Prozedere wurden die Verantwortlichen durch gezieltes Coaching vorbereitet. Ihre geschickte Planung ermöglicht stringente und ergiebige Stehungen. Die jeweiligen Moderatoren agieren visuell und transparent. Das White Board ist ihr wichtigstes Instrument, mit dem sie die Mitarbeiter auf dem aktuellen Stand halten. Die Inhalte auf den Boards sind in allen Bereichen und Abteilungen einheitlich und im gleichen Layout. So erkennen die Mitarbeiter, egal in welche Bereiche sie eventuell wechseln, immer sofort alles wieder und verstehen den Stand der Dinge schnell.
Inputs der Arbeiter sind ebenso wichtig wie diejenigen der Verantwortlichen
«Wir haben uns bewusst gegen eine digitale Lösung entschieden», betont Orgis. «In unserer sonst so hochdigitalisierten Welt halte ich folgendes für sehr wichtig: Mitarbeiter bringen ihre Kennzahlen wie etwa Qualitätszahlen selbstverantwortlich an, was ihr Verantwortungsbewusstsein fördert. Mehr noch – und das ist das Wertvollste, seit wir das System haben – identifizieren sich die Mitarbeiter mit den Kennzahlen, weil sie mitbestimmen und Einfluss nehmen können.»
Für nachhaltige Fehlerbehebung sorgt das Zahlen/Daten/Fakten-Prinzip (ZDF) bei der Problembeschreibung. «Wir geben uns heute nicht mehr mit vagen Aussagen wie etwa ‹es funktioniert nicht› zufrieden», betont Orgis, «sondern wollen über einen bestimmten Zeitraum gesammelte Zahlen, Daten und Fakten zum Problem aufnehmen. Die akribische Vorgehensweise ist nach unserer Erfahrung ein wirksames Mittel zur Ursachenfindung, die eine Fehlerbehebung ermöglicht.»
Kann der Abteilungsleiter ein aufgetretenes Problem nicht nach der ersten Stehung lösen, dann wird es in die zweite Kaskade eskaliert, in Form einer zweiten Stehung. Diese zweite Stehung findet um 8.00 Uhr mit dem Fertigungsleiter, den Abteilungsleitern aus den Fertigungsbereichen und je einem Mitarbeiter aus Qualität, Betriebsmittelentwicklung und Prozessentwicklung statt. Inhalte sind u.a. der Vergleich von Ist- und Soll-Zustand, die Personalplanung der einzelnen Bereiche sowie die Eskalation der Probleme aus der ersten Stehung mit anschliessendem Go-and-See des Fertigungsleiters am Entstehungsort.
In der dritten Stehung mit der Geschäftsleitung werden Informationen zu den Punkten Personalauslastung, Maschinenauslastungen, Qualität Fertigprodukte/Zulieferteile sowie Liefertreue präsentiert. Der Fertigungsleiter bringt dabei auch die nichtlösbaren Probleme aus der zweiten Stehung zur Sprache.
Brisantes gelangt in zwei Stunden durch alle drei Kaskadenstufen hoch
«Ein kritischer Sachverhalt, der um 6.45 Uhr angesprochen wurde, ist dann bereits um 9.00 Uhr am Geschäftsleitungsboard», sagt Orgis, «und es kommt vor, dass der Geschäftsführer dann um 9.15 Uhr beim Kollegen an der Werkbank steht und sich das Problem erklären lässt. Die Reaktionszeiten haben sich dadurch bei uns drastisch verkürzt.» Mit einem derart standardisierten Konzept können Probleme identifiziert, gefiltert und wenn nötig innerhalb von zwei Stunden bis zur Geschäftsleitung eskaliert werden.
Der Zeitaufwand für die Stehungen während der regulären Arbeitszeit wird deshalb längst nicht mehr als möglicher Verlust gesehen. Ihr Gewinn liegt in der Verkürzung der Durchlaufzeit, der Reduzierung der Ausfallzeiten sowie der Optimierung der Auslastung. Turck duotec analysiert in Wertstromanalysen (Wie fliesst ein Produkt durch die Fertigung?) Produkte in allen Fertigungsschritten. In dieser aufgezeigten Analyse wird unterschieden zwischen Wertschöpfung (wofür der Kunde bezahlt) und Verschwendung (Überproduktion, Materialbestände, Wartezeit, unangemessene Prozesse, Transportwege, Bewegung, schlechte Qualität).
Logistik und Produktion separat, aber schön schlank im «Ein-Stück-Fluss»
Im Anschluss wird ein Ideallayout für einen Ein-Stück-Fluss (One-Piece-Flow) gemeinsam mit den Fertigungsmitarbeitern entwickelt. «Ein-Stück-Fluss im Ideal» heisst: Ich greife mein Produkt einmal und fertige es bis zum Versand. Das Idealbild wird in einem Wertstromdesign in ein reales Layout überführt und praktisch in einem Cardboardmodell aufgebaut. Nach der Simulation wird das Konzept nochmals kontrolliert, gegebenenfalls angepasst und im Anschluss in echte Arbeitsplatzsysteme umgesetzt. Diese gesamte Kette, beginnend von der Wertstromanalyse bis hin zur Fertigstellung, sollte zwölf Wochen nicht überschreiten. Falls der Projektinhalt grösser ist, werden kleinere Teilprojekte angestrebt. Denn viele kleine Schritte führen hier schneller zum Erfolg als ein grosser. Eine weitere Aufgabe von Lean ist die Trennung von Wertschöpfung und Logistik. Turck duotec forcierte dies unter anderem durch das Liefern des jeweils benötigten Materials direkt an den Arbeitsplatz mittels Durchlaufregalen mit Rollbahnen. Dadurch lassen sich jetzt 250 verschiedene Artikel bzw. Varianten in einem einzigen Arbeitssystem produzieren. «Das System hat eine Rüstzeit von 1,5 min, der Mitarbeiter betreibt de facto ausschliesslich Wertschöpfung, noch dazu in reduzierten Durchlaufzeiten», freut sich Orgis. Die erreichten Ziele sind eine Reduzierung von Durchlaufzeiten, eine Fertigung im Kundentakt, höhere Flexibilität durch Glättung von Fertigungsaufträgen sowie erhöhte Qualität dank verbesserter Fehlerkompetenz.
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