Ein normalgewichtiger Mensch, der von einem Tisch springt, wandelt grob die Energie in der Grösse von 600 J von potenzieller Energie in Wärme um. Diese Energie würde reichen, um eine 60-W-Birne etwa 10 s leuchten zu lassen, vorausgesetzt man könnte die ursprüngliche potenzielle Energie zu 100 % umwandeln. Andererseits wissen wir seit Claude Shannon und seinen mathematischen Theorien der Kommunikationstechnik aus den späten 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts, dass die Informationsübertragung über eine Strecke von 100 m theoretisch mit einem Bruchteil eines pJ pro Bit bewerkstelligt werden könnte (Implementationsverluste vernachlässigt).
Selbst wenn man nicht für jede Antwort vom Tisch runterspringen möchte, stellt sich doch die Frage, ob die Informationsübertragung per Tastendruck und Elektronik energieeffizienter als beispielsweise das Hochheben einer Stimmkarte geschehen kann. Das Hochheben einer 1 kg schweren Hand über die Distanz eines halben Meters braucht immer noch über 4 J an Energie. Aus der Erfahrung war bekannt, dass ein batteriebetriebenes Abstimmungsgerät etwa 100 µJ pro Tastendruck braucht um 4 Byte Information zu übertragen. Soviel Energie sollte doch eigentlich der Umwelt zu entnehmen sein, ohne dass Batterien nötig sind. Die dabei abgestrahlte Energie ist sogar nur etwa 200 nJ. Eine logarithmische Übersicht der Energiegrössen zeigt Bild 1.
Energy Harvesting
Die unter dem Begriff Energy Harvesting zusammengefassten Systeme beziehen die für den Betrieb benötigte Energie aus ihrer Umgebung. Ein Beispiel für Energy Harvesting sind Sensornetzwerke, z. B. Temperatursensoren in Gebäuden. Ein aktuelles Beispiel aus dem Consumer-Bereich ist Philips Hue Tap, eine Leuchte, welche durch eine batterielose Fernbedienung geschaltet werden kann. Möglich macht dies ein Energy-Harvesting-Modul von enocean, welches auf dem Induktionsprinzip beruht. Durch das mechanische Umpolen eines magnetischen Kreises lässt sich ca. 200 µJ Energie pro Tastendruck ernten.
Piezoelektrisches Energy Harvesting
Eine andere Art des Energy Harvestings beruht auf dem piezoelektrischen Effekt. An piezoelektrischen Materialien entsteht eine Spannung wenn sie elastisch verformt werden. Umgekehrt verformen sich solche Materialien, wenn man eine Spannung anlegt. In diesem Fall spricht man vom inversen Piezoeffekt. Das wohl wichtigste Beispiel für die technische Nutzung des Piezoeffekts sind Quarzkristalle, welche als Schwingquarze verwendet werden. Für viele technische Anwendungen, wie z. B. Piezosummer, werden auch piezoelektrische Keramiken verwendet.
Kommerzielle Produkte, welche Energy Harvesting basierend auf dem Piezoeffekt betreiben, sind vor allem auf die Nutzung von Vibrationsenergie ausgelegt (www.mide.com). Dafür wird meist ein Biegebalken eingesetzt, welcher auf eine bestimmte Vibrationsfrequenz abgestimmt ist. Das Piezoelement befindet sich im Biegebalken und wird durch die mechanische Schwingung periodisch verformt. Die nachgeschaltete Elektronik enthält einen Kondensator, welcher bis zu einer gewissen Spannungsschwelle geladen wird. Wenn diese erreicht ist, wird z. B. ein DC-DC-Wandler aktiviert, der die Versorgungsspannung für einen Sensor liefert.
Idee der Piezotaste
Die seit 1980 in der Tastaturenbranche tätige Firma Algra mit Sitz in Merenschwand hat mit dem System Dynapic Wireless vor Kurzem gezeigt, dass mit einer Piezotaste genügend elektrische Energie erzeugt werden kann, um einen batterielosen Funkschalter zu realisieren. Herzstück des Funkschalters ist eine Piezoscheibe, welche direkt mit dem Finger verformt wird. Gemäss Herstellerangaben beträgt die geerntete Energie pro Tastendruck 10 bis 30 µJ. Die für die Taste verwendete Piezoscheibe unterscheidet sich nicht stark von handelsüblichen Piezoscheiben, wie sie in Piezosummern zur Schallerzeugung verwendet werden. Am Institut für Kommunikationssysteme (ICOM) der Hochschule für Technik Rapperswil entstand dadurch die Idee, das Konzept der Piezotaste auf das HSRvote zu übertragen und damit ein batterieloses, energieautarkes Abstimmungsgerät zu entwerfen.
HSRvote – das didaktische Hilfsmittel
HSRvote ist ein didaktisches Hilfsmittel (Bild 2), welches Dozierenden erlaubt, den Fortschritt ihrer Auszubildenden zu visualisieren. Jeder Auszubildende erhält dazu ein handliches Gerät mit vier Tasten. Mit diesem lassen sich Multiple-Choice-Fragen beantworten oder Abstimmungen durchführen, welche vom Dozenten mit einer PC-Software erstellt werden. Weitere Informationen gibt es unter vote.hsr.ch.
Durch die extrem stromsparende 2,4-GHz-Funktechnologie erreicht ein HSRvote-Gerät mit der eingebauten Knopfzellenbatterie eine theoretische Lebensdauer von über 10 Mio. Tastendrücken. Allerdings stellt sich auch bei diesem Gerät irgendwann mal die Entsorgungsfrage der Batterie. Teil 2 dieses Beitrags in Polyscope 9/16 befasst sich mit dem ganz neuen, batteriefreien HSRvote battery free.
Infoservice
HSR Hochschule für Technik
Prof. Dr. Heinz Mathis, Institutsleiter ICOM
Oberseestrasse 10, 8640 Rapperswil
Tel. 055 222 45 95, icom.hsr.ch