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Grenzen des technisch Machbaren ausloten

Neue Windkraftwerke und die zahlreichen Photovoltaik-Anlagen auf privaten und öffentlichen Hausdächern werden immer anspruchsvoller für unser Stromnetz. So wichtig ihr Beitrag für die Energiewende, so herausfordernd ist der technische und wirtschaftliche Umgang mit ihnen. Weil Strom aus erneuerbaren und dezentralen Energiequellen stark schwankt und sich nur schlecht speichern lässt, sollen Elektrolyseure das Problem lösen. Diese nutzen den überschüssigen Strom, um Wasserstoff herzustellen, der entweder direkt gespeichert oder in Methan umgewandelt wird. Das Paul Scherrer Institut (PSI) testet auf seiner ESI-Forschungsplattform im aargauischen Villigen, wie Elektrolyseure und Brennstoffzellen im Verbund mit Biomassereaktoren, Methanisierungsanlagen und CO2-Capturing betrieben werden können. Eine zentrale Komponente dieser Forschungs-plattform, die seit Anfang 2016 schrittweise ihre Arbeit aufgenommen hat, ist das von Siemens entwickelte Elektrolysesystem Silyzer.
Unser Stromnetz kann nur so viel Strom aufnehmen wie gerade verbraucht wird. Ohne Speicher würde das gesamte System aus dem Gleichgewicht geraten und die Frequenzstabilität kollabieren. Immer häufiger müssen darum Energieversorger ihren Strom zu Dumpingpreisen ins Netz einspeisen, weil zu viel davon produziert wird. Oder die Einspeisung muss sogar unterbrochen werden, weil sonst eine gefährliche Überlast droht. Ein besonderes Ärgernis: Auch wenn die Betreiber den erneuerbaren Strom abregeln, müssen sie ihn bezahlen. Allein im Bundesland Schleswig-Holstein fallen für die Betreiber jährlich rund 25 Millionen Euro Entschädigungskosten an, weil die Windkraftwerke in der Nordsee zeitweise zu viel Strom generieren.
Viele Vor- und Nachteile
Die Energieversorger haben daher allen Grund, sich mit neuen Speichermethoden zu befassen. Die verfügbaren Technologien sind vielfältig, aber je nach Anwendung mit Nachteilen behaftet: Die in der Schweiz bewährten Pumpspeicherkraftwerke pumpen Wasser in einen Stausee hoch, um später daraus wieder Strom zu generieren. Die Investitionen in einen Stausee sind allerdings gross, und der Strom kann nur gespeichert werden, wenn er auch zum Kraftwerk transportiert werden kann. Die Leitungen für das Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance werden durch Einsprachen verhindert. Ab 2018 könnten hier Pumpen 900 MW Strom aufnehmen – dazu braucht es jedoch eine 400-kV-Höchstspannungsleitung.
Eine weitere Speichermöglichkeit, vor allem für lokale Anwendungen, sind Batterien, die ans Nieder- oder Mittelspannungsnetz angeschlossen werden. Dies hat den Vorteil, dass der erneuerbare Strom nicht mit Verlusten in die Hochspannungsebene transformiert werden muss. Die Kapazität der Batterien ist aber limitiert, grössere Systeme würden sehr teuer. Und Batteriespeicher gleichen in der Regel nur die tagesaktuelle Stromproduktion aus. Über Mittag speichern sie Strom aus Photovoltaik-Anlagen und speisen ihn am Abend wieder ins Netz. Eine Herausforderung bleibt die Speicherung über mehrere Wochen oder sogar saisonal vom Sommer in den Winter. Denn auch Pumpspeicherkraftwerke sind eher für kurze Zyklen ausgelegt. So wäre der obere Speichersee bei Linth-Limmern bereits nach zwei Tagen voll, wenn er mit maximaler Leistung gefüllt würde.
Strom in Gas umwandeln
Die einzige Lösung, die sich für die saisonale Speicherung eignet, ist das zweistufige Power to Gas-Konzept. Hier wird zuerst der überschüssige Strom genutzt, um mithilfe eines Elektrolyseurs Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten (siehe Kasten). In einem zweiten Schritt wird der Wasserstoff unter Zugabe von CO2 zu synthetischem Erdgas (Methan) weiterverarbeitet. Die überschüssige elektrische Energie wird so in chemischer Form gespeichert. Diese gasförmigen Energieträger können lange gelagert und weit transportiert werden. Bei Bedarf werden sie wieder in Strom oder Wärme umgewandelt. Der Wasserstoff kann zum Beispiel mit einem Anteil von bis zu fünf Prozent ins Erdgasnetz eingespeist werden und so fossiles Methan ersetzen. Zudem benötigt auch die chemische Industrie Millionen Tonnen Wasserstoff. Neben der Versorgung von Haushalten, Gewerbe und Industrie ist auch eine Nutzung als Treibstoff möglich, zum Beispiel in Erdgasfahrzeugen oder in Brennstoffzellenautos.
Aktionsplan Energieforschung
Wasserstoff-Elektrolyseure und Systeme, die den Wasserstoff methanisieren, werden bereits in einigen Pilotprojekten eingesetzt und von Energieversorgern getestet. Noch ist aber nicht klar, welche Speichertechnologie ökonomisch am sinnvollsten ist. Darum lancierte der Bund 2013 den Aktionsplan «Koordinierte Energieforschung Schweiz». Mit 70 Millionen Franken werden über vier Jahre mehrere Kompetenzzentren gefördert. Zwei davon (Speicherung und Bioenergie) werden vom Paul Scherrer Institut (PSI) geleitet. Mit weiteren 48 Millionen Franken unterstützt der Aktionsplan konkrete Projekte in der Energieforschung. «Aus diesen Fördergeldern wurde am PSI die Energy System Integration Plattform (ESI) lanciert, bei der das Power-to-Gas-Konzept im Mittelpunkt steht», erklärt Prof. Dr. Alexander Wokaun, Leiter des Forschungsbereichs Energie & Umwelt am PSI. Einzelne Komponenten von Power-to-Gas sind seit vielen Jahren Gegenstand der Forschung am PSI. Beispielsweise in der Methanherstellung, insbesondere aus Biomasse, kennen sich die Fachleute in Villigen aus. Zudem verfügt das PSI über eine umfangreiche Expertise in Technologien für die Wiederverstromung der Speichergase. Dies ist der langjährigen Forschung an Brennstoffzellen, Verbrennungsmotoren und Gasturbinen zu verdanken.
«Bei der ESI-Plattform geht es uns darum, all die bisher isoliert erforschten Bausteine erstmals in ihrem komplexen Zusammenspiel zu untersuchen und die Technologien im Verbund zu betreiben», erläutert Alexander Wokaun. Die Vorteile wären vielfältig: Wenn Biomasse in Produktgas umgewandelt wird, muss überflüssiges CO2 entfernt werden. Anstatt das CO2 zu entfernen, könnte dem Prozess zusätzlicher Wasserstoff (H2) zugefügt werden, und es entstünde je nach CO2-Gehalt zwischen 50 bis 100 % mehr Methan. Ebenso kann eingefangenes CO2 zusammen mit H2 methanisiert werden. Wird also die Plattform mit CO2-Capturing erweitert, kann umweltbelastendes CO2 aus Rauchgasen oder allenfalls auch aus der Atmosphäre entfernt und mit überschüssigem Strom in Methan umgewandelt werden. Der Wasserstoff und der Sauerstoff aus der Elektrolyse können zudem direkt wieder zurück in Strom umgewandelt und dieser ins Netz eingespeist werden.
Das Anlagensystem am PSI hat eine Leistung von 100 Kilowatt (kurzzeitig 300 kW). «Mit der Anlage», so Alexander Wokaun, «möchten wir die Grenzen des technisch Machbaren in Bezug auf Power-to-Gas ausloten sowie die Kosten und die Möglichkeiten der Skalierung auf einer Anlage im Megawattbereich herausfinden.» Durch gemeinsames Experimentieren werden nun Erfahrungen gesammelt, die über das Testen einzelner Komponenten hinausgehen.
Mehrere Elektrolyseure evaluiert
Bei der Beschaffung von geeigneten Komponenten stiessen die PSI-Experten auf eine besondere Herausforderung als sie die verschiedenen Elektrolyseure für die ESI-Plattform evaluierten. Da die Gase in Tanks mit einem Druck von 50 bar gespeichert werden, eigneten sich die meisten Elektrolyseure nicht, da sie nur den Wasserstoff mit hohem Druck abgeben, nicht aber den Sauerstoff. «Wir hatten mit dem Silyzer ein System, das auch den Sauerstoff mit 50 bar ausgibt», erklärt Siegfried Gerlach, CEO von Siemens Schweiz. «So muss der Sauerstoff nicht nachträglich mit einem zusätzlichen, teuren Kompressor verdichtet werden.»
Ein weiteres Kriterium war die Dynamik des Systems: Wenn dem Netzbetreiber mit der Last des Elektrolyseurs Regelenergie angeboten werden soll, so muss die Leistung innerhalb von Sekunden angepasst werden können. «Herkömmliche Elektrolysesysteme, die mit Kalilauge als Katalysator arbeiten, eignen sich schlecht für den dynamischen Betrieb und das Zusammenspiel mit erneuerbaren Energien», sagt Gerlach. «Sie brauchen lange, bis sie auf Betriebstemperatur sind und arbeiten unter Teillast suboptimal.»
PEM-Technologie
Für den dynamischen Betrieb eignen sich Maschinen, die wie der Silyzer mit einer sogenannten Polymer- Elektrolyt-Membran (PEM) ausgestattet sind. Bei dieser Technologie können beim Herstellungsprozess nur einzelne Wasserstoffkerne (Protonen) die Membran durchdringen. So findet auch bei grossen Druckunterschieden kein unerwünschter Gasaustausch statt. Zudem kommt die PEM-Elektrolyse ohne Chemikalien aus, ist flexibel steuerbar und kann innert kürzester Zeit hochfahren. Der am PSI eingesetzte Silyzer ist in der Lage, seine Normleistung innerhalb von 10 Sekunden vollständig zu erreichen oder die Leistung ebenso schnell wieder zu reduzieren. Das initiale Hochfahren dauert 20 Minuten. Ein weiterer Vorteil der PEM-Technologie: Sie produziert bis zu fünfmal mehr Wasserstoff pro Quadratzentimeter als ein alkalischer Elektrolyseur. Bisher liessen sich jedoch PEM-Anlagen nicht einfach auf einen Megawatt-Massstab vergrössern, weil sich die Membran unter Volllast stark ausdehnt und die beiden Kammern nicht mehr genau voneinander trennt. Mit dem Silyzer ist Siemens nun ein Technologiesprung gelungen, dank dem selbst PEM-Systeme im Megawattbereich möglich sind.
ESI-Plattform in Betrieb
Das Elektrolysesystem und die weiteren Module der ESI-Plattform wurden von Juni bis Dezember 2015 in Villigen installiert und die Plattform in den anschliessenden Monaten für verschiedene Betriebsarten vorbereitet. Beispielsweise kann (je nach Lastzustand) bei der Methanisierung das H2 aus dem Elektrolyseur zugemischt werden. Umgekehrt kann aber auch der Elektrolyseur als primäre Komponente nach dem Strompreis gefahren werden, und die Methanisierung muss sich der Menge des produzierten H2 anpassen. In allen Modi wird die Dynamik getestet, der Teillastbetrieb sowie die Lebenserwartung der elektrochemischen Komponenten. Vom Elektrolyseur wird eine Betriebsdauer von 80 000 h erwartet.

www.siemens.ch