Der Güterverkehr auf der Schiene ist ein wichtiger Transportweg, nicht nur in Europa, sondern weltweit. Auch in der Schweiz gibt es politische Bestrebungen, einen Grossteil des Güterverkehrs auf die Schiene zu verlagern – bereits seit 2008 besteht das Güterverkehrsverlagerungsgesetz (GVVG). Auch die EU setzt auf den Ausbau des Schienenverkehrs für den Personen- und Güterverkehr in Europa. Im Rahmen des strategischen Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 werden im Projekt Shift-2-Rail Konzepte für den Schienenverkehr von morgen entwickelt und erprobt. Dies beinhaltet unter anderem die elektronische Überwachung der Güterwagen und der transportierten Fracht. Bis heute ist dies auf Güterzügen nicht möglich, da diese lediglich mechanisch und pneumatisch aneinandergekoppelt sind und über keinerlei elektronische Infrastruktur verfügen. Die komplette Elektrifizierung bzw. Verkabelung der Güterzüge liegt wegen des grossen Aufwands und den damit verbundenen Kosten noch in ferner Zukunft. Die Projektpartner bei duagon und ZHAW arbeiten deshalb an drahtlosen Lösungen.
Entgleisungen zu verhindern heisst auch, mehrere Mio. Euro einzusparen
Vielerorts sind Infrastruktur sowie Rollmaterial veraltet und fehleranfällig. Das führt sogar zu Entgleisungen. Untersuchungen der Europäischen Kommission (D-Rail Projekt) haben gezeigt, dass über 70 % der Zugentgleisungen in Europa auf solche Fehler zurückzuführen sind. Weitere Untersuchungen haben ergeben, dass mehr als die Hälfte der Vorfälle Güterzüge betreffen. Abschätzungen ergaben, dass eine Entgleisung durchschnittlich einen Schaden in Höhe von 700 000 Euro verursacht. Im Jahr 2014 verzeichnete das Statistikamt der Europäischen Kommission (Eurostat) 58 signifikante Entgleisungen von Güterzügen. Dies ergibt im Schnitt mehr als eine Entgleisung pro Woche und Kosten von über 40 Mio. Euro pro Jahr. Entgleisungen mit geringerem Schadensausmass (unter 150 000 Euro) und solche auf firmeneigenen Rangierarealen sind hier nicht eingerechnet.
Bei einer Entgleisung springen meist nur einzelne Wagen einer Zugkomposition oder auch nur eine Achse eines Wagens aus den Schienen. Die betroffenen Wagen fallen nicht zwangsläufig seitlich um und bremsen den Zug, sondern werden weiter mitgezogen. Die dabei entstehenden Schwankungen der Längskräfte werden jedoch von den anderen, nicht entgleisten Wagen wieder gedämpft, sodass bei der Lokomotive keine Anzeichen mehr feststellbar sind. Dies kann dazu führen, dass entgleiste Wagen kilometerweit mitgezogen werden und dabei erhebliche Schäden an der gesamten Infrastruktur entlang der Strecke und Kosten von mehreren Mio. Euro verursachen. Des Weiteren steigt das Risiko eines noch grösseren Schadens, insbesondere wenn Gefahrgüter involviert sind. Genau hier können elektronische Überwachungssysteme einsetzen und im Falle einer solchen Entgleisung unmittelbar den Lokführer alarmieren, damit dieser den Zug schnell, aber kontrolliert zum Stillstand bringen kann.
Überwachung von Erschütterungen
Das Institute of Embedded Systems (InES) der ZHAW hat in einer Forschungsarbeit mit der Firma duagon ein Konzept zur Detektion von Entgleisungen und der drahtlosen Übertragung von Statusmeldungen und Alarmen an die Lokomotive entwickelt. Intelligente Sensoren auf den einzelnen Wagen messen die Vibrationen und analysieren diese in Echtzeit. Dabei werden kontinuierlich Serien von Messwerten erfasst, gefiltert und mit weiteren Berechnungen auf einen Indikationswert pro Messserie reduziert. Daraus lässt sich eine mögliche Entgleisung des Güterwagens ableiten.
Im Normalbetrieb senden die Sensoren die Ergebnisse in regelmässigen Zeitabständen an den zentralen Knoten in der Lokomotive. Dort können die Daten zur weiteren Verarbeitung und Langzeitauswertung abgespeichert werden. Bei einer detektierten Entgleisung wird unmittelbar ein Alarm gesendet, um den Lokführer zu warnen und gegebenenfalls eine kontrollierte Notbremsung einzuleiten.
Für Güterzüge ist die Stromversorgung eine Herausforderung
Ein drahtloses Sensornetzwerk auf Güterzügen aufzubauen bringt abgesehen vom Kostendruck zwei grosse Herausforderungen mit sich. Dies ist einerseits die drahtlose Übertragung der Sensordaten an die Lokomotive und andererseits die Stromversorgung der einzelnen Sensoren. Güterzüge können in einigen Weltregionen eine Gesamtlänge von bis zu drei Kilometern haben. Gefragt sind neue Konzepte, um die Daten sicher und effizient an die Lokomotive zu übermitteln. Dies alleine wäre verhältnismässig leicht zu realisieren, wenn hier nicht die zweite Herausforderung – die Stromversorgung – hineinspielen würde. Es gibt auf den Güterzügen keinerlei elektronische Infrastruktur und somit auch keine Stromversorgung für die Sensoren auf den einzelnen Wagen. Die einfachste Variante sind Batterien, allerdings mit dem Nachteil, dass diese alle paar Jahre wieder ersetzt werden müssen. Das bringt wiederum zusätzlichen Wartungsaufwand und Kosten mit sich.
Autarke Sensoren – ganz ohne Batterie und Stromzufuhr
Das Forschungsprojekt der duagon AG und des InES setzt auf eine aufstrebende Technologie, dem sogenannten Energy Harvesting. Unter diesem englischen Begriff versteht man das Gewinnen von kleinen Energiemengen aus der direkten Umgebung. Als Energiequelle dienen beispielsweise Licht, Temperaturunterschiede, elektromagnetische Strahlung oder Bewegung. Letztere ist in Form von niederfrequenten Vibrationen auf Güterzügen sehr präsent und gilt in diesem Projekt als bestgeeignetste Energiequelle. Der Vorteil liegt darin, dass im Betrieb laufend elektrische Energie generiert wird, wodurch Batterien überflüssig sind und somit das autarke Betreiben der Sensoren ermöglicht wird. Voraussetzung ist jedoch, dass die Sensoren sehr energieeffizient sind, da mit Energy Harvesting nur geringe Energiemengen zur Verfügung stehen.
Güterzüge und autarke Sensoren passen gut zusammen
Ein Vergleich von Energy Harvestern hat ergeben, dass solche mit induktivem Wirkprinzip aufgrund ihrer Effizienz bei niederfrequenten Vibrationen am besten für den Einsatz auf Güterzügen geeignet sind. Aufgrund weiterer Untersuchungen kann eine durchschnittliche Ausgangsleistung von 1 bis 5 mW erwartet werden. Zur Verifikation des vorgestellten Konzeptes wurde ein Sensornetzwerk mit mehreren Texas-Instruments-CC1310-Entwicklungsboards realisiert. Im Labor zeigte man damit, dass für den Betrieb eines Sensors inkl. Datenerfassung, Analyse und drahtloser Übertragung bei einer Sendeleistung von 14 dBm, eine durchschnittliche Leistungsaufnahme unter 1 mW erreicht wird. Dieses Ergebnis bestärkt die Aussage, dass autarke Sensoren mit Energy Harvesting auf Güterzügen realisiert werden können.
Infoservice
duagon AG
Riedstrasse 12, 8953 Dietikon
Tel. 044 743 73 00, Fax 044 743 73 15
mail@duagon.com, www.duagon.com
Institute of Embedded Systems, InES
Technikumstrasse 9, 8401 Winterthur
Tel. 058 934 75 25, Fax 058 935 75 25