Was sind Kennzeichen boomender Märkte? Zum einen ein starkes Wachstum, zum anderen tiefgreifende Veränderungen bei den Playern durch Neugründungen, Kooperationen und Konsolidierungsprozesse. Auf die Bildverarbeitung treffen diese Merkmale aktuell mehr denn je zu: Laut aktuellen Zahlen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau und diverser Marktforscher hat die Branche in Deutschland im vergangenen Jahr rund 17 % mehr Umsatz gemacht und ihren Absatz innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. Für die Schweiz existieren keine öffentlich verfügbaren Zahlen, doch auch hierzulande dürfte die Entwicklung einen ähnlichen Verlauf genommen haben wie im Nachbarland.
Dynamische Branche
Dass die Branche weltweit heftig in Bewegung ist und sich derzeit konsolidiert zeigte sich in der jüngsten Vergangenheit unter anderem an den Übernahmen von Silicon Software durch Basler und von Matrix Vision durch Balluff, am Kauf des französischen Vertriebshauses Elvitec durch Stemmer Imaging oder an der Integration des Systemintegrators Quiss in den Atlas Copco-Konzern. Zudem haben führende Automatisierungsunternehmen wie Beckhoff und B&R kürzlich eigene Bildverarbeitungssysteme vorgestellt und damit verdeutlicht, welchen Stellenwert diese Technologie in Bezug auf zukunftsorientierte, flexible Fertigungs- und Produktionsanlagen sowie im Hinblick auf das Thema Industrie 4.0 inzwischen einnimmt.
Auch auf der technischen Seite bewegt sich in der Bildverarbeitung zurzeit so viel wie nie zuvor. Embedded Vision, Machine bzw. Deep Learning sowie Hyperspectral Imaging bezeichnen dabei die derzeit heissesten Themen der Branche, die das Potenzial besitzen, herkömmliche Bildverarbeitung nachhaltig zu verändern und teilweise komplett neue Anwendungsgebiete zu erschliessen.
Embedded Vision: Klein und günstig
Unter Embedded Vision versteht man vereinfacht gesagt kleine, integrierte Bildverarbeitungssysteme, die direkt in Maschinen oder Geräten eingebaut sind, visuelle Informationen aufnehmen und den Anlagen somit ein Auge verleihen. Im Vergleich zu traditionellen Bildverarbeitungssystemen arbeiten solche Systeme auf kompakten, sehr leistungsstarken Rechnerplattformen, die nur einen geringen Leistungsbedarf haben. Die in diesem Bereich häufig eingesetzten ARM-basierten System-on-Chip(SoC-)Lösungen werden immer leistungsfähiger und verfügen über ein Preis–Leistungs-Verhältnis, das in verschiedenen Einsatzfeldern bereits dazu führt, dass die im Industrieumfeld häufig noch verwendeten X86-Architekturen zunehmend verdrängt werden. In der Fabrikautomation, dem traditionellen Einsatzfeld von Bilderverarbeitungssystemen, existiert folgerichtig bereits eine Vielzahl an realisierten Embedded Vision-Systemen sowie eine grosse Zahl an weiteren Optionen für den Einsatz dieser innovativen Technologie.
Ganz generell übernehmen Bildverarbeitungssysteme in der Fabrikautomation immer häufiger auch Aufgaben, die über die reine Qualitätskontrolle von Produkten während ihrer Herstellung hinausgehen. Eines von vielen Beispielen hierfür sind Anwendungen, bei denen Roboter gefahrlos direkt mit Menschen und anderen automatischen Systemen zusammenarbeiten, ohne das Umfeld wie bisher durch einen Sicherheitskäfig schützen zu müssen. Zur Vermeidung von Unfällen muss ein solcher Roboter mit extremer Zuverlässigkeit stets erkennen, wo sich Menschen oder andere Systeme in seiner Reichweite befinden. Kostengünstige Embedded Vision-Lösungen stellen eine der Schlüsseltechnologien dar, um dies sicher umzusetzen.
Embedded-Vision-Entwicklungen primär im Consumer-Umfeld
Ihre Stärken spielen Embedded Vision-Systeme jedoch nicht nur in der Industrie, sondern zunehmend auch in vielen Anwendungen des täglichen Lebens aus. Autonome Fahrzeuge, Serviceroboter in Industrie und Haushalt sowie Drohnen sind nur drei Beispiele dafür, wie preisgünstige, aber leistungsstarke Embedded-Bildverarbeitung «dumme» Geräte in intelligente, selbstständig agierende Systeme verwandelt, die gewisse Entscheidungen ohne menschliche Interaktion treffen können.
Der Grossteil der bereits realisierten oder geplanten Embedded Vision-Entwicklungen ist im Consumer-Umfeld angesiedelt. Der Grund hierfür ist einfach: Durch die potenziell sehr grossen Stückzahlen rechnen sich solche Systeme dort besonders schnell. Der Bereich Automotive ist vor diesem Hintergrund der vielversprechendste Einsatzbereich für Embedded Vision. Schon heute kommt die Technologie dort in vielen neueren Automodellen zum Einsatz, u.a. in Form von Assistenzsystemen, die den Fahrer unterstützen, die Spur oder den Abstand zum Vordermann automatisch zu einhalten, Verkehrszeichen zu erkennen oder sofort automatisch zu reagieren, wenn ein Unfall droht. Welches Potenzial Embedded Vision in diesem Bereich hat, zeigt sich auch darin, dass Intel 2017 für rund 15 Mrd. Dollar das Unternehmen Mobileye übernommen hat. Mobileye ist einer der weltweit grössten Entwickler von Software und SoCs für solche Kfz-Assistenzsysteme, die bereits in zahlreichen Fahrzeugen marktführender Hersteller zum Einsatz kommen.
Entwicklungstempo wird anhalten
Dass die rasanten Entwicklungen rund um Embedded Vision voraussichtlich weiterhin anhalten werden, zeigt sich auch angesichts anderer Tendenzen: Grosse Hersteller der dafür nötigen Komponenten legen zunehmendes Interesse an der Bildverarbeitung an den Tag und verbünden sich zu Kooperationen. So hat z.B. der US-amerikanische Elektronik-Distributor Arrow Electronics in enger Zusammenarbeit mit Bildsensorherstellern wie ON Semiconductor und Omnivision, den Prozessorspezialisten von Qualcomm und den Kameraexperten von Basler flexible Embedded-Kameramodule entwickelt, die mit geringem Aufwand an spezielle Kundenanforderungen angepasst werden können. Diese Boards arbeiten mit einem Open-Source-Standard und sind mit vordefinierten Konnektoren ausgestattet, die es erlauben, unterschiedliche Mezzanine-Boards für unterschiedliche Aufgaben auf das Board aufzusetzen. Auf diese Weise wird der Zugang zur Embedded-Vision-Technologie wesentlich erleichtert.
Deep Learning: Effektiveres Trainieren
Das Schlagwort Deep Learning sorgt in der Bildverarbeitung derzeit ebenfalls für sehr positive Erwartungen. Anschaulich lässt sich dieses Thema am besten anhand eines Beispiels erklären: Es ist über die reine Beschreibung der markanten Merkmale von Hunderassen möglich, einem technischen System die Unterschiede zwischen verschiedenen Rassen zu erklären, ohne ein einziges Bild zu zeigen. Dieser extrem aufwändige Weg entspricht der Vorgehensweise, wie Vision-Algorithmen in den vergangenen fünf Jahrzehnten entwickelt wurden. Mit Hilfe neuartiger Deep-Learning-Methoden lassen sich derartige Aufgaben jedoch inzwischen deutlich effektiver und schneller lösen: Man zeigt einem System eine grosse Zahl an Beispielbildern für jede Rasse, und geeignete Algorithmen sind überraschend gut in der Lage, selbst zu lernen, worin die Unterschiede zwischen den einzelnen Rassen liegen.
Selbstverständlich lässt sich diese Methode nicht bei jeder beliebigen Bildverarbeitungsaufgabe einsetzen, doch bei dafür geeigneten Anwendungen führt dieser neue, unter dem Stichwort Künstliche Intelligenz angesiedelte Weg zu erheblich kürzeren Entwicklungszeiten und somit wirtschaftlicheren Lösungen. Die Euphorie um Deep Learning wird vor dem Hintergrund noch verständlicher, dass zum einen das Entwickeln der Softwarealgorithmen in der Vergangenheit oftmals der Flaschenhals auf dem Weg zu fertigen Bildverarbeitungsapplikationen war und zum anderen die Anzahl an kompetenten Entwicklern im Verhältnis zu den zunehmenden Einsatzmöglichkeiten eher stagnierte. Von den neuen Möglichkeiten auf Basis von Deep Learning versprechen sich Systemintegratoren und Anwender von Bildverarbeitungssystemen daher erhebliche wirtschaftliche Vorteile durch die Möglichkeit, ihre Lösungen schneller zu realisieren.
Hyperspectral Imaging: Der Blick unter die Oberfläche
Vor rund zwei Jahren gelang der in der Wissenschaft schon länger genutzten Technologie der hyperspektralen Bildverarbeitung aufgrund erheblich einfacher bedienbarer Algorithmen, Benutzeroberflächen und Systeme der Durchbruch in den kommerziellen Vision-Markt. Mit Hilfe der dabei eingesetzten Methoden ist es möglich, die chemische Zusammensetzung von Prüfobjekten genau zu analysieren und unter deren Oberfläche zu blicken. Herkömmliche Bildverarbeitungssysteme, egal ob 2D oder 3D, sind dazu nicht in der Lage: Sie können Materialunterschiede auf molekularer Ebene nicht erkennen und scheitern daher z.B. bei der Trennung von verschiedenen Kunststoffen im Recycling, wenn deren optisches Erscheinungsbild ähnlich ist. Als weiteres Beispiel lässt sich der Lebensmittelbereich anführen, wo z.B. der Reifegrad von Früchten und Gemüse sowie ein möglicher Schimmelbefall eine grosse Rolle spielen, aber mit traditioneller Bildverarbeitung nicht erkannt werden können.
Seit ihrem Durchbruch haben sich Hyperspektralsysteme in der Bildverarbeitung zu einer äusserst erfolgreichen Technologie entwickelt: Systeme auf dieser Basis ermöglichen inzwischen zahlreiche, bis dato nicht lösbare Aufgabenstellungen und sind in vielen erfolgreichen Applikationen im Einsatz. Beispiele dafür finden sich unter anderem in der lebensmittelverarbeitenden Industrie, wo sich Obst- und Gemüsesortiergut z.B. durch Nachreifung schnell verändert. Auch bei der Identifikation von Stoffen wie z.B. Zucker, Salz und Zitronensäure, die im Realbild kaum Unterschiede aufweisen, erlauben hyperspektrale Systeme aufgrund der unterschiedlichen Molekularstruktur und der chemischen Eigenschaften eine eindeutige Unterscheidung. Weitere Hauptanwenderindustrien dieser jungen Technologie sehen Experten im Bergbau, in der Pharmaindustrie sowie im Recycling. Auch im Medizinbereich gibt es erste Versuche mit derartigen Systemen, die in naher Zukunft noch in vielen Einsatzfeldern zu erwarten sind.
Infoservice
PS Marcom Services
Unteranger 8, DE-82140 Olching
Tel. 0049 8142 580 69 00